1063 Berggorillas - was bedeutet die Zahl?

Kategorien: Ausgabe 60, Gorilla Journal, Bestandsaufnahme, Berggorillas

Zwei Mitglieder der Umubano-Gruppe, Ruanda (© Michael Klaas)

Meine gesamte Kindheit habe ich in Südfrankreich verbracht, auf einem Hügel zwischen Steineichenwald und Garrigue. Wir hatten viele Katzen, die ein- und ausgingen und großzügig tote Mäuse und Spinnen vor die Tür legten. Aber es wurden immer mehr Katzen, die draußen geboren wurden und an die wir gar nicht mehr herankamen. Sie liebten das Futter, das wir auf das Fensterbrett stellten, und irgendwann fraß eine unübersichtliche Zahl halbwilder Katzen das Futter "unserer" Katzen.

Wie viele Katzen kamen da überhaupt? Unsere geliebten Hauskatzen konnten wir natürlich zählen: Es waren 6. Etwa 7 weitere konnten wir einigermaßen unterscheiden. Uns war klar, dass es noch mehr Katzen gab, aber sie waren nie gleichzeitig da, hatten meist Angst vor uns und kamen teilweise nur nachts. Letztlich schätzten wir ca. 20 Katzen - unsere 6, weitere 7 und die "anderen", die wir nur flüchtig sahen.

Das war meine erste Erfahrung mit der Schwierigkeit, Tiere zu zählen. Wenn es schon bei 20 Hauskatzen so schwierig ist, die dazu eine gemeinsame Futterquelle haben - wie schwierig wird es dann erst bei wilden Berggorillas? Sie leben in dichten Wäldern, sind scheu und eine Begegnung kann sowohl für Menschen als auch Gorillas lebensgefährlich sein.

Berggorillas (Gorilla beringei beringei) leben nur noch in zwei Waldinseln, dem Bwindi-Sarambwe-Wald in Uganda und der Demokratischen Republik Kongo sowie dem Virunga-Gebiet an den Grenzen von Uganda, Ruanda und der D. R. Kongo. Am 16. Dezember 2019 meldete das IGCP, dass es insgesamt 1063 Berggorillas gibt. Aber wie kommen Forscher auf eine so genaue Zahl? Die kurze Antwort: Sie kennen die Anzahl gar nicht so genau, aber ebenso wie "20 Katzen" ist diese Zahl viel einfacher zu kommunizieren als die Statistik, die dahintersteckt.

Seit den 70er Jahren werden Berggorillas intensiv erforscht und geschützt. Etwa die Hälfte der Gorillagruppen ist inzwischen "habituiert" und die Tiere haben keine Angst mehr vor Menschen. So können Forscher (und Touristen) sie beobachten, die Gorillas benennen und die Geburten registrieren. Wie unsere Hauskatzen sind diese Gorillas leicht zu zählen.

Es gibt aber natürlich auch die anderen, hauptsächlich in Uganda und Kongo. Die kennen wir so gut wie nicht, und um sie zu schützen, wollen wir ihnen gar nicht begegnen. Um aber einschätzen zu können, ob ihre Gebiete gut geschützt sind, sollten wir ihre Anzahl kennen. Kann man Tiere zählen, ohne sie zu sehen? Ja - indirekt. Wie Detektive am Tatort, die Fingerabdrücke suchen, folgen wir den Spuren der Gorillas und sammeln ihre DNA. Die finden wir im Kot, denn sie hinterlassen mit ihren Ausscheidungen jedes Mal ein paar Zellen mit ihrer DNA. Diese DNA ist sehr wertvoll, denn damit können wir genauso wie bei Menschen nahezu jedes Individuum eineindeutig identifizieren.

So sind wir im Herbst 2015 und im Frühling 2016 durch das ganze Virunga-Gebiet gelaufen und haben über 1000 Kotproben gesammelt und analysiert. Neben den bekannten 418 habituierten Gorillas haben wir beide Male etwa 130 Individuen "gefunden" (genetisch identifiziert), die nicht in habituierten Gruppen lebten. Dank des DNA-Fingerabdrucks konnten wir nachvollziehen, welcher Gorilla wann gefunden wurde, und so stellten wir fest: Mindestens 50 Tiere hatten wir im Herbst und im Frühling jeweils verpasst. Insgesamt identifizierten wir 186 unhabituierte Gorillas. Uns wurde klar: Wenn wir den Wald ein drittes und ein viertes Mal durchsuchen würden, würden wir sicherlich weitere Gorillas finden. Wahrscheinlich ist die Gesamtzahl unhabituierter Gorillas deutlich höher - aber wie hoch?

Um dies abzuschätzen, nehmen wir verschiedene statistischen Methoden zu Hilfe, jedoch liefern sie unterschiedliche Ergebnisse: Nach einem Modell gab es 221 unhabituierte Gorillas im Virunga-Gebiet, vielleicht nur 204, womöglich aber sogar 243. Das zweite Modell meldete 251, möglicherweise aber bis zu 340. Die tatsächliche Anzahl liegt irgendwo zwischen 200 und 340.

Die veröffentlichte Gesamtzahl von 1063 Berggorillas ist eine Zusammenführung mehrerer Angaben: 186 unhabituierte Gorillas wurden im Virunga-Gebiet genetisch identifiziert; in Bwindi waren es 2018 263 unhabituierte Individuen. Daneben registrierten wir genau 418 habituierte Gorillas im Virunga-Gebiet und 196 in Bwindi. 1063 ist also das absolute Minimum und enthält nicht jene Gorillas, die wir übersehen haben, deren Existenz allerdings statistisch hochwahrscheinlich ist.

Hätten wir unsere Katzen so gezählt, dann hätten wir 6 Hauskatzen und 7 weitere, also 13. Aber wir würden jene ignorieren, die wir nicht genau erkennen konnten. Ähnlich ist es mit der Zahl 1063 - höchstwahrscheinlich gibt sie nicht die tatsächliche Anzahl der Berggorillas wieder, sondern das absolute Minimum. Für den Artenschutz allerdings ist folgende Aussage wichtiger: Anders als bei allen anderen Menschenaffen steigt bei den Berggorillas die Anzahl der Individuen. Und das ist ein großer Erfolg.

Anne-Céline Granjon