Beate Strobel: Ruanda 2008

Kategorien: Ruanda, Reiseberichte

Die Berggorillas im Norden Ruandas zu besuchen, das war schon seit vielen Jahren unser Traum, der sich im Juli 2008 erfüllte. Wir, das sind drei Weltenbummler aus Hofheim am Taunus: Norbert, unser "Ältester", seit einigen Jahren Studenten-Rentner (Ethnologie an der Uni Frankfurt) und Biologe, ehemals der "Silberrücken" in seiner Abteilung bei der Firma Sanofi-Aventis. Jan, sein Sohn, ist 15 Jahre alt, und da wir die Reise keinesfalls ohne ihn machen wollten, warteten wir geduldig, bis er die vorgeschriebenen 15 Lenze erreicht hatte. Und Beate, Romanistin und Sozialpädagogin, Afrikaliebhaberin durch und durch.

Unseren "Gorillatag" hatten wir schon viele, viele Monate vorher über eine darauf spezialisierte Reiseagentur gebucht und vor allem die dafür notwendigen drei Besucher-Permits bestellt. Der Driver Arthur holte uns am frühen Morgen aus unserer Lodge ab und brachte uns zum Headquarter des "Parc National de Volcans", wo außer uns noch an die 80 andere gorillabegeisterte Touristen zusammentrafen, die alle für diesen Tag ein Permit erhalten hatten. Nach Überprüfung der Formalitäten wurde der "Touristenhaufen" in überschaubare Grüppchen von je acht Personen eingeteilt, die dann wiederum auf die zehn besuchbaren und an Menschen gewöhnten, den sogenannten "habituierten" Gorillafamilien im Vulkan-Park aufgeteilt wurden. Auf großen Schildern vor dem Headquarter konnte man die Beschreibung der einzelnen Gorillagruppen lesen, und wir liebäugelten stark mit der Sabinyo-Gruppe, denn zu ihr gehörte einer der größten Gorilla-Silberrücken im Virungagebiet. "Das wäre was für uns!" schwärmte Norbert. Schließlich erschien Arthur mit einem der Ranger, Felix, der uns führen sollte und - wir wurden doch tatsächlich der Sabinyo-Gruppe zugeteilt. Zu uns gesellte sich noch eine Familie aus Chicago, ein ebenfalls silberbebarteter Papa, eine Mama und drei erwachsene Töchter - also waren wir die perfekte Achtergruppe.
Felix stellte sich uns zunächst vor und berichtete, dass er viele Jahre Gorilla-Ranger im Kongo gewesen war und er vor fünfzehn Jahren jedoch das Land schweren Herzens verlassen musste, als die politische Situation zu brisant wurde. Dann bekamen wir eine Beschreibung der Sabinyo-Gruppe, aus welchen Mitgliedern sie sich zusammen setzte, wie alt und was die Besonderheiten dieser Gruppe waren und ganz besonders, wie wir uns zu verhalten hatten. "Bleibt als Gruppe immer zusammen im Pulk, nicht laut herumrufen und Krach machen, nicht essen, nicht trinken und mindestens 7 m Abstand halten zu den Gorillas!" Die Gruppe sei nicht aggressiv, ergänzte Felix auf unsere Rückfragen, nein, die seien nur manchmal ein wenig derb, wenn sie mit den Touristen "spielen" wollten. Natürlich wüssten die Gorillas auch nicht, was 7 m Abstand seien, und so im Vorbeigehen rempelten sie einen schon mal an - und was das bei einem solchen Mehrere-Zentner-Wesen bedeutete, könnte man sich ja ausmalen - das wirft einen Menschen glatt um. Aber nur keine Panik entwickeln - und vor allem: auf keinen Fall wegrennen! Ruhig bleiben.
Okay. Wir haben es verstanden. Erst fuhren wir noch ein kurzes Stück mit dem Auto zu einem kleinen Dorf am Rande des Nationalparks und wanderten zunächst über einige Felder bis hin zu einem Schutzwall, der die Grenze des Parks markierte. Die Dorfbewohner hatten diese Schutzmauer errichtet, da sonst die geschützten Tiere des Waldes ungehindert auf ihre Felder kamen und die Ernte niedertrampelten oder abfraßen. Etwas unelegant kraxelten wir über die etwa 2 m hohe Mauer, bevor wir in die Tiefen eines kratzigen Urwaldes eintauchten. Die Amerikaner schlüpften in ihre Regenhosen, da sie am Vortag schon eine Gorillatour unternommen hatten, bei welcher ihnen durch die Hosenbeine hindurch spitzige Urwaldstacheln die Beine zerkratzt hatten. Wir streiften lediglich unsere Gummihandschuhe über, die wir - laut Empfehlung des Reiseunternehmens - dabei hatten, damit uns nicht die Hände aufgerissen würden, wenn wir die stacheligen und brennnesselartigen Zweige im Gebüsch beiseite biegen. Es ging im Halbdunkeln des Waldes über Stock und Stein, über umgefallene Bäume und durch Matsch und Laub, bergab und bergauf. Felix legte hin und wieder kleine Verschnaufpausen ein, und er sprach währenddessen in sein Funkgerät mit den Trackern. Die Tracker sind die ständigen Beobachter einer Gorillagruppe, die beinahe jeden Tag mit ihnen verbringen und die über Funkgerät dem touristenführenden Ranger die genauen Positionsdaten der Gorillas zu dem entsprechenden Moment durchgeben können. Das Gorilla-Aufspüren ist also dank der modernen Technik eine bombensichere Sache. Geduckt ging's weiter durch das dichte, tropfende Grün und allmählich begannen wir zu schwitzen unter unseren Regenjacken. Uff, hoffentlich dauert das nicht mehr so lange!! "Höchstens noch eine oder zwei Stunden!" sagte Felix. Ach, du liebe Güte, so lange noch? "Aber seid mir bitte nicht böse, wenn es nicht so lange dauert!" feixte er hinterher.
Wieder tauchten wir in dichtes Gebüsch ein, als mehrere Tracker plötzlich vor uns standen. Felix wies uns an, die Rucksäcke bei ihnen abzulegen und nur unsere Kameras mitzunehmen. Schnell hechelten wir Felix hinterher, der mit einem der Tracker schon wieder los lief. Norbert, der kurz hinter Felix war, drehte sich mit strahlenden Augen zu Jan um und Jan zu Beate und flüsterte aufgeregt: "Daaaa, da sind sie!" Was, jetzt schon? Das ist doch kaum drei Minuten her, seit uns Felix mit ein bis zwei weiteren Marschierstunden gedroht hatte!! Der Witzbold!
Wir betraten eine Lichtung - und da saßen sie, mitten im hohen grünen Gras, mehrere schwarze wollige Knäuel, die sich bewegten und ein wenig verdutzt guckten, als da acht bunte Touristen, Felix und der Tracker auftauchten. Mitten in ihren Bewegungen hielten sie inne und starrten uns an - und auch wir standen alle da (vorschriftsmäßig alle beieinander!) und starrten die Gorillas an. Es war wirklich - und es war wie im Kino bei "Gorillas im Nebel", nur ohne Nebel. Vor uns - ohne Zaun dazwischen, ohne Fensterscheibe und ohne Graben - direkt vor uns auf der Wiese eine Gruppe von acht Gorillas. Der Tracker grunzte und schnalzte mit der Zunge. "Das beruhigt sie!" erklärte er, "und das kennen sie, denn immer wenn ich das mache, wissen sie, es ist alles okay!" Tatsächlich, nach kurzer Musterungsrunde nahmen sie ihr Tun und ihre Bewegungen wieder auf, rissen das Gras mitsamt den Wurzeln heraus und stopften sich die Leckerbissen schmatzend in den Mund. Zwei Junge, die laut Felix etwa drei Jahre alt waren, rangen miteinander und kreischten, wenn einer den anderen aufs Kreuz legte, ein Weibchen säugte ein wenige Wochen altes Junges, ein erwachsenes junges Männchen (ein sogenannter "Schwarzrücken") und der Chef der Gruppe, der unverkennbare mächtig große Silberrücken drehten ihre Runden um ihre Familie. Unsere Kameras klickten und surrten und wir acht standen unbeweglich mitten auf der Lichtung. Es dauerte nicht lange, da wollten die Gorillas auch die Grasbüschel auf der anderen Lichtungsseite probieren und einer nach dem anderen begann, die Seite zu wechseln, wobei sie ganz dicht an unserer Gruppe vorbei kamen. Erst der Silberrücken, dann das Weibchen mit dem Jungen. "Ruhig stehen bleiben!" erinnerte uns Felix leise. "Keine hektischen Bewegungen!" Nun waren die Gorillas gleichzeitig hinter uns und vor uns. Plötzlich erhob sich der Schwarzrücken und raste in wahrem "Affentempo" über die Lichtung direkt auf uns zu. Gehorsam - wie versteinert - hielten wir die Luft an und blieben stehen. Nur ruhig Blut, angreifen werden sie nicht! Norbert stand ganz außen in unserer Gruppe und damit mitten im Weg des Schwarzrückenmanns. Wums!, hatte der ihm mit Wucht an die Hose gefasst und über den Oberschenkel gekratzt, war jedoch gleich weiter durchgestartet auf die andere Lichtungsseite zu dem Weibchen. "Also, diese Hose, die wird jetzt nicht mehr gewaschen, okay? Da sind Gorillaspuren drauf!" flüsterte Norbert begeistert. Langsam und gemächlich begaben sich auch die restlichen Gorillas auf die andere Lichtungsseite und dann - wie auf ein geheimes Kommando hin - erhoben sich fast alle Gorillas gleichzeitig und verschwanden durch eine Lücke in den Tiefen des grünen Waldes hinter sich. Wir standen alleine auf der Lichtung. Verdutzt sahen wir Felix und den Tracker an, die beide verschmitzt lächelten. "No problem, wir warten ein paar Sekunden und dann gehen wir ihnen hinterher!" Also wühlten wir uns wieder hinein in das Gebüsch. Wenn die Gorillas da durch passten, dann passen wir erst recht durch, wenn wir auch längst nicht so geschickt dabei sind.
Nur wenige Wanderminuten weiter erkannten wir die schwarzen Körper wieder - eine weitere, viel kleinere Waldlichtung, fast wie ein großes Nest, erstreckte sich vor uns und viel näher als vorhin, kaum die obligatorischen 7 m entfernt, standen wir nun um die Gorillafamilie herum und beobachteten sie praktisch in ihrem grünen "Salon".
Ein junger Gorilla kletterte übermütig auf einen Bambus und wippte blätterraschelnd und voller Energie auf den biegsamen Ästen über uns - na, wenn das mal gut geht, bei dem Gewicht? Mit geduckten Rücken standen wir da, jederzeit bewusst, dass der naseweise Gorilla jederzeit über uns unerwartet herabfallen könnte, während wir unentwegt weiter fotografierten und der Tracker seine glucksenden und schmatzenden Beruhigungsgeräusche fortsetzte. "Ich bin jeden Tag hier!" flüsterte er uns zu. "Die haben mich praktisch schon adoptiert!" Lautstark krachte es über uns im Bambusgebälk. Ein entsetzter Gorillaschrei zerriss die Stille und wenige Augenblicke später purzelte uns in der fast perfekten Judorolle ein schwarzes Gorillaknäuel vor die Füße. Der Junge rappelte sich erschreckt auf (wer hat nun mehr Herzklopfen? Er oder ich?), peilte seine Lage und schaute uns neugierig an, dann wankte er schnell hinüber zu den anderen, die es sich inzwischen auf dem Lichtungsnest gemütlich gemacht haben. Entspannt lagen sie da auf Bauch oder Rücken, die Gorillamutter spielte mit dem Jungen, das genüsslich sein rosa Mäulchen aufsperrte, sie zupfte einige Läuse aus seinem Fell. Der Silberrücken saß im Yogasitz da und zupfte sich ebenfalls einiges juckende Getier aus dem Fell, das er dann schmatzend in den Mund steckt. Der Schwarzrücken legte sich ungezwungen auf den Rücken, schlug die Beine übereinander und hielt sich die Pranke über Augen und Stirn, so, als hätte er Migräne und das Licht blende ihn zu sehr - Idylle im Gorilla-Wohnzimmer.
Unsere Beobachtungsstunde verflog viel zu schnell. Wirklich schon eine Stunde? Sogar noch mehr... Felix mahnte zum Aufbruch. Langsam stapften wir durch das hohe Gras Richtung Wald am Lichtungsrand entlang. Natürlich entging unseren Gastgebern der kollektive Aufbruch unserer Gruppe nicht. Erstaunt hoben sie die Köpfe und musterten uns erneut der Reihe nach, wie wir uns an ihnen vorbeischlichen. Der Silberrücken machte ein paar Geräusche, der Tracker gluckste wie in einem Dialog zurück. Sollte wohl heißen "Hey, was ist denn nun los?" und die Antwort "Du weißt doch, wir verschwinden jetzt wieder!" (Beate, Du hast zu viel menschliche Fantasie!)
Wenige Momente später standen wir wieder vor unseren Rucksäcken, auf die die anderen Tracker aufgepasst hatten. "How was it?" fragte einer. Unbeschreiblich! Gigantisch! Kein Superlativ wäre genug und wir alle hatten beinahe Tränen in den Augen, so schön war es. Eine wunderbare, friedvolle Stunde bei diesen massigen, wundervollen Tieren, die so viel Ähnlichkeit mit uns haben. Ein Erlebnis, das noch Wochen und Monate später in uns nachklingt und das wir jedem empfehlen können!

Beate Strobel