Wie viele Gorillas haben Platz im Virunga-Massiv?

Kategorien: Ausgabe 71, Gorillazahlen, Bestandsaufnahme, Ökologie, Verhalten, Ruanda, Mikeno-Sektor, Mgahinga, Vulkan-Nationalpark

Seit den 80er-Jahren hat die Zahl der Virunga-Gorillas, die bei Bestandsaufnahmen registriert wurden, immer mehr zugenommen. Möglicherweise wird sich das nun langsam ändern. (© Angela Meder)

Mit ihrer Vielfalt unterschiedlicher Lebensräume erstrecken sich die erloschenen Vulkane des Virunga-Massivs über Ruanda, Uganda und die Demokratische Republik Kongo. Dort lebt eine der beiden Berggorilla-Populationen in einem geschützten Lebensraum, der von der höchsten menschlichen Bevölkerungsdichte in Afrika südlich der Sahara umgeben ist.

Wie vielen Gorillas bietet dieses Gebiet Raum? Wissenschaftler gehen davon aus, dass jedes Ökosystem aufgrund der Verfügbarkeit wichtiger Ressourcen wie Nahrung und Platz nur eine begrenzte Anzahl von Individuen einer Art aufnehmen kann, dieses Limit wird als "carrying capacity" (Aufnahmefähigkeit) bezeichnet und spielt für das langfristige Populationsmanagement eine wichtige Rolle.

In den 1990er Jahren ergaben erste Schätzungen, dass bei der Virunga-Gorillapopulation ein Maximum eintreten wird, nachdem sie die Zahl von 600 Tieren überschritten hat - und dies ist mittlerweile der Fall. Bereits 1995 schrieb Alastair McNeilage, dass bei steigendem Wachstum der Population Störung durch Menschen, Nahrungskonkurrenz und soziale Faktoren wie häufigere Begegnungen zwischen Gruppen den Stress erhöhen und zu mehr Kindstötungen führen könnte, was die Größe der Virunga-Gorillapopulation beeinflussen würde.

Dank jahrzehntelanger Schutzbemühungen wuchs die Zahl der Virunga-Gorillas stetig und hat sich von nur noch ca. 250 in den 1980er-Jahren auf über 600 (639-669) bei der letzten Zählung 2015/16 erhöht. Nun stellt sich die Frage, ob die Population angesichts ihres kleinen und geografisch isolierten Lebensraums ihre Grenze erreicht hat, und falls ja, welche Faktoren das Wachstum letztlich stoppen werden.

Die Anzahl der Gruppen und somit aggressive Begegnungen unter den Gruppen mit schweren Verletzungen sowie Infantizid (Kindstötungen) nahmen zu. Außerdem wechselten mehr weibliche Gorillas bei derartigen Begegnungen die Gruppe, wodurch sich der Abstand zwischen den Geburten verlängerte. All dies trug zur Verlangsamung des Populationswachstums bei. Allerdings basiert ein Großteil des derzeitigen Wissens über die Berggorillas im Virunga-Gebiet auf den über Jahrzehnte erhobenen Daten über die Forschungsgruppen. Um jedoch zuverlässige Aussagen machen zu können, müssten wir die Forschung auf bislang wenig untersuchte Gebiete in der Demokratischen Republik Kongo und Uganda ausweiten.

Dass sich die Tiere auch an Veränderungen anpassen können, zeigt unsere Forschung ebenfalls. Sie ernähren sich je nach Lebensraum ganz verschieden und sind dabei sehr flexibel. Dies könnte die Folgen zunehmender Nahrungskonkurrenz abpuffern. Aber wir müssen das gesamte Ökosystems betrachten, und das macht alles wesentlich komplexer. Da sich Berggorillas ihren Lebensraum mit anderen großen Pflanzenfressern wie Elefanten oder Büffeln teilen, sollte bei der Einschätzung der Kapazitätsgrenze auch die zwischenartliche Konkurrenz berücksichtigt werden.

Weitere globalere Aspekte wie das Wachstum der menschlichen Bevölkerung oder auch der Klimawandel spielen ebenfalls eine Rolle. Der Siedlungsdruck außerhalb der Schutzgebiete steigt weiterhin, was die Konkurrenz um die natürlichen Ressourcen erhöht; auch die Wilderei stellt nach wie vor eine große Herausforderung für den Artenschutz dar.

Außerdem könnten Infektionskrankheiten das Populationswachstum begrenzen. Eine neue parasitologische Studie zeigt, dass schwere Magen-Darm-Erkrankungen insbesondere in Gebieten mit hohem Populationswachstum zugenommen haben. Durch die Messung von Stresshormonen stellte man fest, dass der Stresspegel bei Begegnungen von Gorillagruppen stark erhöht ist. Solche Belastungsspitzen können das Immunsystem beeinträchtigen und damit die Anfälligkeit für Krankheiten steigern. Überdies vergrößert eine dichtere Population das Risiko von Neuinfektionen über den Kot der Artgenossen. Aber auch klimatische Schwankungen, die die Entwicklung infektiöser Larven begünstigen, können zu einer Vermehrung der Parasiten und damit höheren Infektionsraten führen.

Ruanda hat sich dazu verpflichtet, ehemals in Ackerland umgewandelte Teile des Vulkan-Nationalparks wieder in das Schutzgebiet zu integrieren - das würde den Berggorillas eine große Chance bieten. Es würde bedeuten, dass ihr Lebensraum ausgeweitet würde, und damit ließe sich der mit einer höheren Gruppendichte einhergehende Anstieg der Sterblichkeit und von sozialem Stress reduzieren.

Seit der letzten grenzüberschreitenden Bestandsaufnahme sind fast 10 Jahre vergangen, da der übliche Zyklus (5 bis 7 Jahre) durch COVID-19 und regionale Unruhen unterbrochen wurde. Wir hoffen, dass die Zählungen bald wieder aufgenommen werden können, damit wir weitere Informationen über die gesamte Population gewinnen.

Mit fortgesetzten Artenschutzbemühungen könnte die Gorillazahl weiter zunehmen, aber auf lange Sicht ist das Wachstum begrenzt. Die Zahl der Virunga-Berggorillas wird ihr Maximum erreichen und künftige Modelle können Naturschützern helfen, realistische Schätzungen für die Obergrenze abzugeben. Das neue Ziel wird dann lauten: nicht mehr Wachstum der Berggorilla-Population, sondern Stabilität; und dafür ist das gleiche, wenn nicht sogar noch mehr Engagement erforderlich wie einst für die Rettung des Bestands.

The Dian Fossey Gorilla Fund

Seit 1967, als Dian Fossey das Karisoke-Forschungszentrum in Ruanda gründete, werden Beobachtungen und Daten zu den dort lebenden Berggorilla-Forschungsgruppen gesammelt. Nach Dian Fosseys Tod 1985 setzte der Dian Fossey Gorilla Fund diese Arbeit fort. Dabei konzentrieren sich die Wissenschaftler vor allem auf das Langzeit-Monitoring und die Erforschung der Gorillas im Karisoke-Gebiet.